Internationale Presse
Quelle: Welt
Quelle: DER SPIEGEL
Calzone geht immer
An guten, also wolkenlosen Tagen geht Hans-Peter Naumann in die hinterste Ecke des Innenhofs und schaut nach Nordosten, über die meterhohen Mauern und den Stacheldraht hinweg. Dort, ganz in der Ferne, erkennt er dann die Spitze des Vulkans Mount Agung, eines der Wahrzeichen Balis, der Insel, die für so viele Menschen ein Paradies ist. Und die für Naumann nur ein Albtraum ist, der nicht enden will.
15 Jahre. Für 328 Gramm Kokain, geschmuggelt aus Thailand nach Bali, verpackt in 30 Plastikkapseln, mit Wein runtergespült. Oder waren es 40? Kotzen hätte er können, bei jeder einzelnen Kapsel. Ein paar kamen während des Flugs auf der Toilette wieder raus, er steckte sie in die Unterhose. Der Landeanflug, die Strände ganz nah, 20 Jahre lang hatte er von Bali geträumt. Der Gang durch den Zoll, das schlechte Gefühl. Die Geste der Polizisten: zur Untersuchung. September 2014, Naumanns Traum vom Paradies ist vorbei.
Naumann selbst sagt, er sei unschuldig. Ein Schutzgelderpresser habe ihn mit vorgehaltener Waffe gezwungen, die Drogen zu transportieren. Ein deutscher Jurist, der ihn unterstützt, hält diese Version für glaubwürdig. Andererseits ist es auch eine Ausrede, die mancher hier hat, der erwischt wurde: dass er gezwungen, überredet, ausgenutzt wurde. Doch in dieser Geschichte geht es nicht um die Wahrheit. Es geht ums Essen, um deutsches Essen, um genau zu sein.
Naumanns Unterkunft nennen sie auf Bali nur „Hotel Kerobokan“, der verrufenste Drogenknast Indonesiens, nur wenige Kilometer von den Touristenzentren entfernt. Im März wurden zwei australische Schmuggler aus Kerobokan abgeführt; Todesstrafe, Erschießungskommando. Präsident Joko Widodo galt als Hoffnung der Liberalen, aber die Exekutionen blieben. Naumann ist der Todesstrafe knapp entgangen. Er solle sich freuen, sagte sein indonesischer Anwalt nach der Urteilsverkündung.
Naumann ist 49 Jahre alt, ein großer Mann mit Schirmmütze und kariertem Hemd, der sich eine Marlboro nach der anderen anzündet. Er war in seinem Leben bisher vieles. Er hat als Koch bei seinen Eltern gearbeitet, in ihrem Hotel in Heilbronn. Auf Mallorca hat er für deutsche Touristen Schlager gesungen. Zuletzt hat er in Thailand einen deutschen Biergarten geleitet, in dem er die größten Schnitzel von Pattaya servierte.
Irgendetwas muss ich in diesen 15 Jahren machen, um nicht verrückt zu werden, denkt sich Naumann in den ersten Wochen in Kerobokan. Er entdeckt eine verfallene Küche auf dem Gefängnisgelände, ein alter Gasherd verstaubt in einer Ecke. Da hat er die Idee: eine Kochschule. Für seine Mitgefangenen. Das Essen könnten sie verkaufen, an die anderen Insassen. Die Wärter geben ihm eine Chance, er darf für sie kochen. Ein Test. Naumann entscheidet sich für Gulasch mit Semmelknödeln. Die Wärter verputzen das Essen, es schmeckt ihnen. Naumann darf anfangen. Er leiht sich Geld bei einer Organisation, die Gefangene unterstützt, es reicht für ein paar neue Fliesen, Wandfarbe, eine neue Decke. Dazu Pfannen, Teller, Besteck. Im August startet die erste Klasse. Basisausbildung, drei Monate. Da könne man natürlich nur die Grundlagen des Kochens lernen, sagt Naumann. Immerhin, das Gefängnis stellt ein Zertifikat aus, Kochen als Schritt zur Resozialisierung.
Naumanns erste Kochschüler heißen Wayan, Manuel und Norman. Wayan und Manuel haben Crystal Meth nach Bali geschmuggelt, Norman hat es mit Haschisch versucht. Die drei Indonesier sitzen rund zwei Jahre in Kerobokan ein. Wären sie Ausländer gewesen, sie hätten fünf bis acht Jahre bekommen, glaubt Naumann. So laufe das hier.
Nun bringt er den jungen indonesischen Schmugglern westliche Hausmannskost nahe. Die Häftlinge braten zusammen Schnitzel, nur ganz so groß wie in Pattaya bekommt Naumann sie leider nicht hin. Er kann kein Schweinefleisch verwenden, viele Insassen sind Muslime. Also nimmt er Hähnchenschnitzel.
Maultaschen würde er gern mal kochen, so wie früher bei den Eltern im Hotel. Aber Bali eignet sich nicht für die schwäbische Küche. Es ist zu heiß für Maultaschen. Aber Hamburger funktionieren natürlich, auch Calzone geht immer. Den Mitgefangenen schmeckt es, und mit den Einnahmen finanziert Naumann den nächsten Einkauf. So bleibt er in Bewegung, und nicht nur das, er möchte mit der Kochschule der deutschen Justiz auch zeigen, dass er etwas Positives hinbekommt. Er hofft, dass es ihn seinem Ziel ein wenig näher bringt: seine Strafe in Deutschland abzusitzen. Am besten in Bremen, da lebt seine Tochter. Er könne in den offenen Vollzug kommen, sagt er. Er hätte dann noch eine Chance auf ein anständiges Leben. Die Diplomaten prüfen gerade, ob die indonesische Regierung einer Gefangenenverlegung zustimmen würde. Naumann schreibt deswegen viele E-Mails ans Auswärtige Amt. Es gibt eine Sachbearbeiterin, die sich um ihn kümmert. Angeblich sei auch Außenminister Frank-Walter Steinmeier über den Fall informiert. Vor Kurzem war der deutsche Botschafter bei ihm und fragte, wie es ihm gehe. Ganz gut, antwortete Naumann. Gibt es eine Chance, dass ich hier bald rauskomme? Vielleicht in zwei, drei Jahren, sagte der Botschafter. Dann fuhr er wieder zurück in die Hauptstadt Jakarta.
Alles unter zehn Jahren sei ein Erfolg, sagt Naumann. Hauptsache, er könne irgendwann Bali verlassen. Dieses Paradies der anderen, von dem Naumann nur den Flughafen kennt, das Büro des Zolls und die Spitze des Vulkans.